Der ‘Raddampfer’ - die erste Elektrolokomotive in Baden

Vorbildrecherche (Stand 25.09.12)


Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seitdem ich hier den ersten Versuch unternommen habe, diese aussergewöhnliche Maschine zu beschreiben. Einige Interessierte habe mich angeschrieben und haben mich mit weiterem Material versorgt, an dieser Stelle möchte ich mich für alle erhaltenen Hinweise bedanken.

Ausserdem möchte ich auf die ausgezeichneten Seiten der Eisenbahnfreunde Wehratal e.V. verweisen, die auch die Elektrifizierung ausführlich behandeln.
 

Für den Einsatz auf der elektrifizierten Wiesen- und Weratalbahn beauftragte die Bad. Bahnverwaltung die Firmen Siemens- Schuckert-Werke und Maffei mit dem Bau einer Elektrolokomotive der Achsfolge 1’C1’.

Die Lok verfügte über zwei Vorbauten mit je einem Einphasen-Wechselstrom-Reihenschlussmotor. Beide Motoren waren quer zur Fahrtrichtung angeordnet und wirkten über Schrägstangen und Blindwellen auf die Kuppelstangen. Ölgekühlte Haupt- und Drehtransformatoren sowie der Lastschalter waren zusammen mit den beiden nicht abgeteilten Führerständen sowie dem Dampferzeuger für die Dampfheizung in einem formschönen Lokkasten untergebracht. Der Hochspannungsteil war in einer separaten feuersicheren und geerdeten Kammer untergebracht, die nur bei herunter gelassenen Stromabnehmern betreten werden konnte. Laut Pflichtenheft wurde der Dampferzeuger nicht elektrisch sondern konventionell beheizt, es war ein Raum für Vorräte ausgewiesen.
Die Maschine war mit einer Druckluftbremse Bauart Westinghouse ausgestattet, die auf alle Kuppelräder wirkte, ausserdem mit einer Handbremse, die von beiden Führerständen aus über Spindeln betätigt werden konnte. Beide Führerstände waren mit Tachometer der Bauart Haushälter ausgestattet. Die Innenbeleuchtung erfolgte elektrisch, zusätzlich gab es eine Notbeleuchtung mit Petroleumlaternen.
Die Stromabnehmer wurden mittels Druckluft angehoben bzw. abgesengt: Die Druckluft für Stromabnehmer, Bremse und Pfeife wurde durch eine elektrisch betriebene Luftpumpe bereit gestellt. Motor und Pumpe waren auf einem aufrecht stehenden Behälter montiert, der Druckbehälter war zwischen den Rahmenwangen angeordnet.
Der Preis der Maschine betrug 92.000 Mark, es wurden 10 Maschinen bestellt (aber nur eine geliefert).

 Die A1 war Inhalt eines Artikels in der Zeitschrift “Die Lokomotive” in der Ausgabe 1910. Aus diesem Artikel sind auch die nachfolgenden Skizzen entnommen.

 

Bad_A1_600

      Seitenansicht/Längsschnitt der Bad. A1

Antrieb bad A1

      Stangenantrieb der A1
       

Da bei der Ablieferung der ersten (und einzigen) Maschine dieser Art die Elektrifizierung auf der Einsatzstrecke noch nicht abgeschlossen waren, wurde die für 10 kV / 15 Hz ausgelegte Lok einigen Quellen zufolge auf dem Oranienburger Rundkurs erprobt. Die dortige Strecke wurde jedoch mit 6 kV und 25 Hz betrieben, weshalb sich die Frage stellt, ob diese Betriebsweise der fabrikneuen Maschine zugemutet wurde. Alternativ könnte der erste betriebliche Einsatz auch auf der werkseigenen Strecke in Siemenstadt stattgefunden haben.

Nach dem Umbau des Transformators erfolgte noch im Jahre 1910 die weitere etwa fünfmonatige Erprobung bei der LAG auf der Strecke Murnau - Oberammergau.

Im Januar 1911 wurde sie dann an die KPEV ausgeliehen und auf der Strecke Dessau-Bitterfeld eingesetzt.

Ende 1911 war die Maschine auf der Weltausstellung in Turin zu sehen.

Ende 1912 nahm die jetzt als A1 bezeichnete Maschine den Betrieb auf der Wiesen- und Weratalbahn auf. Die Lok kam am 24. Oktober 1912 nach Lörrach und führte noch im gleichen Monat Probefahrten durch. Der erste elektrische Zug verkehrte am 23. Januar 1913 zwischen Basel und Zell im Wiesental. Der elektrische Zugbetrieb auf der Wiesentalbahn wurde schliesslich am 13. September 1913 aufgenommen. Dort ist sie dann 10 Jahre lang gelaufen, zuletzt nur noch mit einem Fahrmotor und einer maximalen Belastung von 70 t. Ihr Einsatz auf dieser Strecke ist durch Dokumente bis mindestens 1921 nachgewiesen. Anschliessend wurde sie ausgemustert und an die Hafenbahn Altona verkauft.
Nachfolgend eine Übersicht der verschiedenen Einsatzbereiche:

 

Einsatz

von

bis

Spannung

Frequenz

Bemerkung

 

 

 

/kV

/Hz

 

Ablieferungszustand

 

04.1910

10

15

 

Oranienburger Rundbahn 1)

 

 

6

25

 

Murnau - Oberammergau

07.1910

12.1910

5,5

16

 

Dessau-Bitterfeld

01.1911

03.1911

5 (10)

15

 

Weltausstellung Turin

04.1911

11.1911

 

 

 

Wiesentalstrecke 2)

10.1912

ca. 1921

15

15

neuer Trafo

Altonaer Hafenbahn

1924

?

6

25

 

 

 

 

 

 

 

1) ev. Werksgelände Siemensstadt

 

 

 

 

2) Ablieferung 01.10.1912 in Basel

 

 

 

 

 

Von der A1 sind derzeit 9 verschiedene Aufnahmen bekannt, wenn die Aufnahmen mit Retuschierungen nicht mitgezählt werden. Nachfolgende Bildzusammenstellung verdeutlicht die Unterschiede der Ausführungen während der verschiedenen Einsatzperioden. Die Aufnahmeposition ‘links’ wurde willkürlich festgelegt, wenn die Pfeife auf der in Fahrtrichtung zeigenden Seite angebracht ist. (Später wurde aber eine zweite Dampfpfeife nachgerüstet, so dass dieses Unterscheidungsmerkmal zeitlich befristet ist.). Eindeutiger ist deshalb die Festlegung der Aufnahmeposition anhand des Abdampfrohrs vom Heizkessels und des Dachlüfters.

Die ersten beiden Aufnahmen zeigen die A1 vermutlich auf der Oranienburger Versuchsstrecke, beide Aufnahmen aus dem Siemensarchiv sind vom 29.04.10 datiert. Da diese Strecke aber mit 6 kV, 25 Hz elektrifiziert war, bestehen bezüglich der Ortsangabe Zweifel.
 

badische A1,  1910_lsh_600

 Bild 1: Für den (späteren) Einsatz auf der Bad. Bahn hat die Maschine den für Baden typischen “Automaten” anstelle des damals üblichen Bremsschlauches. Die Radkasten sind seitlich offen, die Antriebskurbeln auf den Motorwellen sichtbar. (Aufnahme der Heizkesselseite)

badische A1, 29-4-1910_ls_600

 Bild 2: Obige Aufnahme ist der Ursprung einer retuschierten Aufnahme...

Bad A1_ 1910_600

Bild 3: ...ebenso wie diese. Beide werden oft in Verbindung mit der Weltausstellung Turin gezeigt, die vom April bis November 1911 stattfand. Obige Aufnahme zeigt hinter dem ersten Seitenfenster die Armaturen des Heizkessels. Die Ausstattung der auf den Abbildungen 1 bis 3 abgebildeten Maschine deckt sich weitgehend mit der oben gezeigten Konstruktionszeichnung. Das Aufnahmedatum 1912 der Abbildung 3 passt chronologisch nicht zu der Ausstattung der abgebildeten Maschine. Es ist unwahrscheinlich, dass einmal angebrachte Lüftungslamellen wieder entfernt wurden. Vielmehr wird sich im Betrieb gezeigt haben, dass die Verlustwärme der Motoren nicht hinreichend abgeführt werden konnte und dass man deshalb die Lüftungsschlitze nachträglich angebracht hat. Die zwischenzeitlich (Bild 5 bis 7) angebrachten Bremsschläuche (Rüssel) sind dadurch zu erklären, dass dies für den Versuchsbetrieb bei der KPEV wohl als notwendig erachtet wurde.

A1_T4

 Bild 4: Während des Versuchsbetriebs auf der Strecke Murnau - Oberammergau (5,5 kV , 16 Hz) entstand zwischen Juli und Dezember 1910 diese Aufnahme. Sie zeigt die A1 mit den Bügeln unterhalb der Pantographen und dem zwischenzeitlich zusätzlich montierten Aufstiegsstufen auf den “Radkasten”. Die Maschine ist noch mit dem bad. Bremsschlauch aus Metallkupplungen ausgestattet.

A1-Dessau_2_600

 Bild 5: Versuchsbetrieb bei der KPEV auf der Strecke Dessau-Bitterfeld, die Aufnahme aus dem Siemensarchiv ist vom 19.11.11 datiert. Die Maschine hat einen neuen Anstrich bekommen, vermutlich hellgrau, Aufnahmestandort ist Dessau.
Die Maschine ist mit Bremsschlauch (Rüssel), Motorklappen mit Lüftungsschlitzen sowie mit den Bügeln unter den Pantographen ausgestattet. Zusätzlich sind Trittstufen auf den Abdeckungen der Antriebskurbel angeordnet. Die Abbildung zeigt die Maschine mit 2 (+1) Laternen.

A1_T2

Bild 6: Gleicher Aufnahmezeitpunkt wie oben, aber jetzt ist die andere Seite der Lokomotive dem Betrachter zugewandt. Die schlechte Qualität der Aufnahme bitte ich zu entschuldigen. (Aufnahme der Heizkesselseite)

Bad A1_lsv_600

Bild 7: Zwischenzeitlich wurde eine zweite Dampfpfeife installiert. Oberhalb des Dampferzeugers ist auf dem Dach ein Abdampfrohr installiert, dahinter ein Dachlüfter. (Aufnahme der Heizkesselseite)

badische A1__600

Bild 8: Diese Aufnahme zeigt die A1 mit (retuschierter?) Betriebsnummer A1 und bad. Hoheitszeichen. Die Maschine ist mit Lüftungsschlitzen in den Vorbauten und mit Schutzbügeln ausgestattet. Die Antriebskurbeln auf den Motorwellen sind sichtbar. Gegen eine Betriebsaufnahme auf der Wiesentalstrecke spricht allerdings das Fehlen der Laternen.

A1_1_rs_Lörrach_600

Bild 9: Nach Angaben von Scharf wurde obige Aufnahme während des Versuchsbetrieb auf derWiesentalstrecke 1912/13 in Lörrach aufgenommen. Es gibt jedoch Hinweise, dass die auf der Aufnahme gezeigte Umgebung eher für Siemensstadt spricht. Die Maschine ist mit bad. Bremsschlauch, Motorklappen mit Lüftungsschlitzen sowie den Bügeln unter den Pantographen ausgestattet. Zusätzliche Trittstufen auf den Abdeckungen der Blindscheiben auf den Motorwellen. Maschine mit Laternen. Der Dachlüfter wurde mittlerweile gegen einen Torpedofüfter getauscht, eine Beschriftung ist nicht zu erkennen. (Aufnahme der Heizkesselseite)
 

Bezüglich der Farbgebung gibt es keine verlässlichen Angaben. Diener spekuliert in seinem Standardwerk zur Farbgebung von Lokomotiven über einen blauen Anstrich der Aufbauten. Grund zu dieser Annahme ist eine um 1910 von BBC Mannheim gelieferte Maschine, von der eine blaue 1:10 Nachbildung erhalten geblieben ist. Tatsächlich entspricht das Modell der 1913/14 direkt an die Wiesentalbahn gelieferten Maschine, der späteren preussischen. EG504.

EG504

Von Märklin wurde in Spur III ein Tinplate-Modell gefertigt, dessen Aufbau stark an eine A1 erinnert. Die Maschine hat jedoch eine andere Achsfolge, vermutlich aus der Serienproduktion eines Modells nach französischem Vorbild. Eventuell wurde dieses Modell anlässlich der Weltausstellung in Turin in Auftrag gegeben. Die Lüftungsgitter entsprechen der Ausstattung der Vorbildmaschine während des Versuchsbetriebs auf der Strecke Dessau - Bitterfeld.

Märklin_A1

Eine weitere Farbvariante ist in dem Buch ‘Die schönsten Lokomotiven der Welt’ von U. Jarchow und E. Urban zu finden. Der Spekulation sind weiter Tür und Tor geöffnet. Für keine dieser Farbvarianten gibt es glaubhafte Quellen.

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